J. G. Wolf (Hrsg.): Neue Rechtsurkunden aus Pompeji

Titel
Neue Rechtsurkunden aus Pompeji. Tabulae Pompeianae novae. Lateinisch und deutsch


Herausgeber
Wolf, Joseph Georg
Reihe
Texte zur Forschung 98
Erschienen
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kathrin Jaschke, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

Pompeji wartet immer wieder mit sensationellen, einzigartigen Funden auf, die für das Verständnis gerade der römischen Alltagswelt von größter Bedeutung sind. Dies war auch bei dem Wachstäfelchen-Archiv der Sulpicii der Fall, das mit seinen Rechtsurkunden einen direkten Blick in die Geschäftswelt einer in der Hafenstadt Puteoli agierenden familia von libertinen Bankiers im 1. Jahrhundert n.Chr. gewährt. Mit dem Archiv des Lucius Caecilius Iucundus aus Pompeji sind zwar ähnliche Täfelchen bekannt 1, doch beinhalten diese hauptsächlich Quittungen. Auch in Herculaneum wurden bislang weitgehend unbekannte Täfelchen geborgen, deren Publikation nach einigen unbefriedigenden Versuchen nun in die Hände von Giuseppe Camodeca gelegt ist.2 Das Archiv der Sulpicii hingegen enthält vor allem Kredit- und verwandte Rechtsgeschäfte wie Bürgschaften oder Verpfändungen von Naturalien mit zugehörigen Speichermieten aus den Jahren 29 bis 61 n.Chr.; es wirft Licht auf die vielfältigen Interessen und Geschäftsverbindungen von Freigelassenen in einer der wichtigsten Hafenstädte des Römischen Reiches und ergänzt so das Bild, das aus den anderen tabulae gewonnen werden konnte.

Obwohl bereits bei Ausgrabungen in Murecine im Jahre 1959 entdeckt, zog sich die Publikation der wegen fehlender Erfahrung unsachgemäß konservierten Täfelchen über mehrere Jahrzehnte hin. Aufgrund ihrer Fragilität konnte nur mit Fotografien gearbeitet werden, wobei offenbar nicht alle Seiten erfasst wurden und somit bis heute Unklarheit über die genaue Anzahl der tabulae besteht. Die erste, leider oft fehlerhafte Edition – die Tabulae Pompeianae (TP) – wurde in den 1960er- und 1970er-Jahren in den „Rendiconti della Accademia di Archeologia, Lettere e Belle Arti“ (Napoli) abgedruckt. Eine hervorragende kritische Ausgabe brachte 1999 Giuseppe Camodeca mit den Tabulae Pompeianae Sulpiciorum (TPSulp) mit 127 Texten heraus, die allerdings keine Übersetzung bietet und aufgrund der italienischen Sprache nur einem kleineren Kreis zugänglich ist.3 Joseph Georg Wolf schließt nun diese Lücke, indem er die Texte von 118 tabulae mit einer deutschen Übersetzung und einem textkritischen Apparat in der Reihe „Texte zur Forschung“ herausgibt und somit einem breiteren Leserkreis erschließt. In Abgrenzung zu den 1875 ebenfalls in Pompeji gefunden Täfelchen des Caecilius Iucundus nennt er die Urkunden Tabulae Pompeianae Novae (TPN).

Die einführenden Kapitel zum Fund (S. 17–18 u. 22–24), zur Technik (S. 19f.), zu den Typen der Urkunden (S. 20–22), den Editionen (S. 24f.), der Datierung (S. 25f.), den Personen (S. 26–28) sowie der Schriftlichkeit (S. 29f.) und den Geschäften eines Bankhauses (S. 30–32) sind recht knapp gefasst und konzentrieren sich auf die Fundstücke, weniger auf ihre historische Einordnung. Offen bleibt dabei unter anderem die Frage, wieso sich ein Korb mit einer mindestens 15 Jahre alten Auswahl an Geschäftsunterlagen aus Puteoli in einem, von Wolf als Sitz eines collegium interpretierten Gebäude in Pompeji befand. Offenbar hatten die Sulpicii das Gebäude erstanden und ließen noch die Schäden des Erdbebens von 62 n.Chr. beseitigen, als in Folge des Vesuvausbruches von 79 n.Chr. Schlamm in das Gebäude einbrach und so für den außerordentlichen Erhaltungszustand der Täfelchen sorgte. Wolf unterscheidet zudem bei der Einführung in die Urkundentypen nur zwischen der testatio als Geschehensbericht und kombiniertem Urkunden- und Zeugnisbeweis sowie dem chirographum als Erklärung einer Person. Die Urkundentexte selbst hingegen sind feiner in vadimonia, testationes sistendi, mutua, fideiussiones, apochae und tabulae ad auctiones pertinentes unterteilt, um nur die größeren Gruppen zu nennen. Die Charakteristika der einzelnen Untergruppen werden jedoch nicht erläutert, was den Zugang zu den Texten für jeden erschwert, der sich noch nicht mit der römischen Rechtsgeschichte auseinandergesetzt hat.

Die Texte sind in der ursprünglichen Zeilenfolge wiedergegeben; die zweifelsfrei lesbaren Buchstaben werden durch Majuskeln dargestellt, die nicht zweifelsfrei lesbaren durch Minuskeln und kursive Schreibweise ergänzt. Zu jeder Urkunde sind die TP- und die TPSulp-Nummer der vorherigen Editionen genannt, was die Zuordnung der Texte erleichtert. Es folgen der textkritische Apparat, der teilweise durch Erklärungen, die das Textverständnis erleichtern, erweitert wird, sowie die Übersetzung ins Deutsche, die sich – so der Autor in den Erläuterungen der Edition – als „Lesehilfe“ versteht und sich „an den lateinischen Wortlaut so eng wie möglich“ anschließt (S. 13). Als äußerst hilfreich erweisen sich die Indices, in denen nach verschiedenen Namensbestandteilen von Kaisern, Konsuln, Privatpersonen und Sklaven gesucht werden kann. Sklaven schlossen recht häufig Geschäfte im Namen und in Abwesenheit ihrer Herren ab oder fungierten als deren Schreiber, wenn diese Analphabeten waren. Des Weiteren umfassen die Indices die Konsuldatierungen, die lateinischen und griechischen Wörter und deren unterschiedliche Schreibweisen sowie Berufe, Gebäude und Zahlen und schlussendlich eine Konkordanz.

Einige Täfelchen lassen sich zu Gruppen zusammenschließen, aus denen ganze Geschäftsvorgänge der Sulpicii mit einem bestimmten Geschäftspartner rekonstruiert werden können. Da diese oftmals verschiedene Arten von Urkunden umfassen, sind Verweise unbedingt erforderlich und werden von Wolf meist auch vorgenommen, wenn eine Person in anderen Urkunden ebenfalls auftaucht. Eine Ausnahme bilden die Täfelchen, in denen Lucius Marius Iucundus genannt wird. Zwar bringt Wolf TPN 69, die Übergabe eines Pfandes in Naturalien für einen Kredit, und TPN 87, die Anmietung des Lagerraums für den Pfand durch den Gläubiger Caius Sulpicius Faustus, in Verbindung, das chirographum über den eigentlichen Kredit über 20.000 Sesterzen (TPN 45), der in TPN 69 erwähnt wird, verbindet er dagegen nicht mit dieser Urkunde, wie dies noch Camodeca tat. Im Gegensatz zu diesem hält Wolf das Datum der Urkunde für unsicher und ordnet daher konsequenterweise TPN 45 nicht dem Geschäftsvorgang von TPN 69 und 87 zu. Dennoch wäre ein Verweis an dieser Stelle hilfreich, um sich selbst ein Bild machen zu können.

Die Kommentierung der teilweise recht komplexen Texte fällt sehr knapp aus, was wahrscheinlich dem begrenzten Umfang des Bandes geschuldet ist. Umso wichtiger wären weiterführende Literaturhinweise, die eine weitere Beschäftigung mit den Texten und ihre historische Einordnung ermöglichen. Hier bleibt Wolf leider hinter der Edition von Camodeca zurück, dessen Literaturangaben allerdings nun mehr als zehn Jahre alt sind. Wolf führt in der Literaturauswahl hauptsächlich die Editionen und Ausgrabungsberichte an und verzichtet auf einschlägige Forschungsarbeiten zu den einzelnen Urkunden. Dies fällt besonders bei einem der umstrittensten Texte des Archivs auf, dem sogenannten Seefrachtvertrag des Menelaos, einer Urkunde nach hellenistischem Vorbild, die nicht so recht zu den bislang bekannten Verträgen passen will und zu der Wolf nur einen eigenen Aufsatz nennt. Noch schwerwiegender ist das Fehlen jedweder Literaturangabe zu den Urkunden, die das Kreditgeschäft zwischen Caius Sulpicius Faustus und Caius Novius Eunus betreffen (TPN 43, 44, 58 u. 59), das auf Spekulationen mit Getreide aus Alexandria hindeutet und sowohl von Camodeca als auch von Wolf selbst bereits ausführlich behandelt worden ist.4 Somit bleibt die weiterführende Literaturrecherche dem Leser selbst überlassen; ein bei der unterschiedlichen Nennung und Nummerierung der tabulae nicht immer leichtes Unterfangen.

Die Vorlage der Texte des Sulpicii-Archivs mit deutscher Übersetzung und einer, wenn auch knappen Kommentierung ist insgesamt zu sehr begrüßen, da dieser gut strukturierte und übersichtliche Band sicherlich dazu beitragen wird, diese einzigartige Quellengattung, die viele neue Informationen nicht nur zur römischen Rechtsgeschichte, sondern im besonderen Maße auch zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte liefert, einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.

Anmerkungen:
1 CIL IV, Suppl. I; Jean Andreau, Les affaires de Monsieur Jucundus, Rome 1974.
2 Vgl. Giuseppe Camodeca, Magistrati municipali e „datio tutoris“ dalla riedizione delle „Tabulae Herculanenses“, in: Rendiconti, Pontificia Accademia Romana di Archeologia 79 (2006–2007), S. 57–81.
3 Giuseppe Camodeca (Hrsg.), Tabulae Pompeianae Sulpiciorum (TPSulp.). Edizione critica dell’archivio puteolano dei Sulpicii, 2 Bde., Roma 1999.
4 Giuseppe Camodeca, Puteoli porto annorario e il commercio del grano in età imperiale, in: Le ravitaillement en blé de Rome et des centres urbains des débuts de la République jusqu’au Haut-Empire, Naples 1994, S. 103–128; Joseph Georg Wolf / John Anthony Crook Rechtsurkunden in Vulgärlatein aus den Jahren 37–39 n. Chr., Heidelberg 1989.

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